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Branchenfokus Handel/ E-Commerce

Partner Marco Strugusch über die aktuelle Situation in der Industrie Handel/ E-Commerce

Wie schätzen Sie die Branche momentan ein, als wie nachhaltig betrachten Sie das aktuelle Ertragsniveau und die momentan üblichen Unternehmensbewertungen?

Das jahrelange nahezu ungebremste Wachstum des E-Commerce Geschäfts kam mit dem durch die Corona-Pandemie bedingten „Lock-down“ im März dieses Jahrs vorübergehend zum Erliegen. Während der Online-Handel in Deutschland im Januar und Februar noch um 8,8% auf 12,9 Mrd. EUR zulegte, verzeichnete der März einen fast 20 prozentigen Umsatzrückgang. Dabei hat es den Bereich „Fashion“ mit einem 35 prozentigen Einbruch sehr stark getroffen. Auch die Bereiche Unterhaltungselektronik, Computer und Zubehör haben mehr als jeweils 20 Prozent verloren. Am dramatischsten jedoch sind die Verluste im Bereich „Travel & Events“ zu bezeichnen. Onlineanbieter für Reisen, Veranstaltungen oder Flug- und Bahntickets büßten im März um mehr als 75% Umsatz im Vergleich zum Vorjahresquartal ein. Hingegen konnten die Bereiche, die auch im Einzelhandel eine hohe Nachfrage erfuhren, zum Teil sehr stark zulegen. Hierzu gehören die Segmente Lebensmittel, Food-Delivery, Drogeriewaren, Medikamente und DIY-Produkte. Der Branchenriese Amazon profitiert dabei am stärksten von dem temporären Onlinehandelsboom, stellt weltweit sogar mehr als 100.000 Leute ein, um die enorme Nachfrage bedienen zu können, und gehört damit zu den großen Gewinnern der Stunde. Allerdings hätte Amazon auch ohne die aktuelle Krise seinen weltweiten Siegeszug fortgesetzt. Entsprechend stark geht es für die Aktie von Amazon zur Zeit nach oben. Ausgehend von dem durch den globalen Börsencrash erreichten Tief mit 1.626 USD Mitte März, haben die Aktien von Amazon zwischenzeitlich 38% gewonnen (Stand: 13.4.). Auch der chinesische E-Commerce Riese Alibaba profitiert derzeit stark von der Nachfrageverschiebung in Richtung Onlinenhandel. So ging der Onlineshop des Supermarktkonzepts Hema von Alibaba in den letzten Monaten förmlich durch die Decke. Dies wirkt sich auch entsprechend positiv auf die Bewertungen der beiden E-Commerce Champions aus, die mit ca. 27x des LTM EBITDA gehandelt werden. Je nach Segment variiert die Bewertung derzeit stark, aber insgesamt lässt sich feststellen, dass die Trading Multiples der meisten „Inventory-based“ Händler mit dem 12 – 15x des LTM EBITDA gehandelt werden. Anbieter aus den Bereichen „Travel & Events“, wie z.B. Booking Inc. oder Expedia Group waren zuletzt deutlich stärker unter Druck und waren für einige Tage für den Faktor 7 – 8 zu haben (LTM EBITDA).

Des Weiteren sind bedingt durch die Coronavirus-Krise trotz eines historisch einmaligen staatlichen Hilfsprogramms für Unternehmen die ersten Online-Händler, insbesondere Start-ups, in die Insolvenz gegangen. So mussten u.a. junge Firmen wie Tausendkind,  ein Onlineshop für Kindermode, trotz eines zuletzt enormen Anstiegs an Bestellungen, sowie die DTC-Sofamarke Sitzfeldt Insolvenz anmelden. Weitere werden folgen, da viele Investoren durch die Corona-Pandemie derart verunsichert sind, dass notwendige Finanzierungsrunden nicht zustande kommen und staatliche Hilfsgelder teilweise nicht reichen werden bzw. nicht schnell genug ankommen. Mehr noch als die Onlinehändler dürfte es aber viele stationäre Ladengeschäfte treffen, wenn der Lock-down nicht schnell ein Ende findet. So rechnen Branchenexperten für den stationären Einzelhandel mit einer Insolvenzwelle von nie gekanntem Ausmaß. Es ist davon auszugehen, dass viele vor allem kleinere Händler, insbesondere aus dem Bereich Fashion in den nächsten Monaten das Handtuch schmeißen müssen. Die wochenlange Schließung ihrer Läden werden viele kleinere und mittelständische Unternehmen, im Gegensatz zu großen internationalen Ketten, die über ausreichend liquide Mittel verfügen und so länger durchhalten können, nicht verkraften. Hingegen hat Deutschlands größter Warenhauskonzern, Galeria Karstadt Kaufhof, bereits kurz nach Beginn des von dem Staat auferlegten „Dornröschenschlafs“ ein Schutzschirmverfahren eingeleitet, um sich so vor Forderungen von Gläubigern während der andauernden Krise zu schützen.

Der stationäre Handel, der jährlich zunehmend Umsatz in Richtung Onlinehandel verliert und dabei mit hohem Margendruck arbeiten muss, stand schon vor der Krise vor einer tiefgreifenden Transformation, die vor allem durch die omnipräsente Digitalisierung und dem technologischen Wandel befeuert wird. Um zukunftsfähig zu bleiben, muss sich der Einzelhändler von der Online-Konkurrenz abheben und entsprechend investieren.

 

Wie haben sich in diesem Sektor aus Ihrer Sicht die Bewertungsmultiplikatoren in den vergangenen drei Jahren verändert? In welche Richtung geht der Trend?

Seit dem Jahr 2016 haben sich die EV/EBITDA Multiplikatoren der Top 20 E-Commerce Unternehmen von 11,0x auf einen zwischenzeitlichen Peak in Höhe von 14,4x (im Median) per Ende 2017 bewegt, um sich danach auf diesem Niveau bis zu Beginn der weltweiten Pandemie zu stabilisieren. Die EV/Sales Multiples bewegen sich in den letzten zwei Jahren stabil auf etwa 2,0x - 2,2x (Median). Die hohen Bewertungen für die großen gelisteten Unternehmen haben auch die Transaktionsmultiplikatoren für SME-Deals positiv beeinflusst, die gemessen an der Performancekenngröße EBITDA oftmals zweistellig waren.

Nach der aktuellen Schwächephase dürfte sich der Gesamtmarkt wieder recht schnell erholen und aufgrund der weiterhin zunehmenden Bedeutung des Onlinehandels sogar tendenziell weiter leicht steigen.

Die Bewertungen börsennotierter Retailunternehmen bewegten sich hingegen zuletzt auf einem EV/EBITDA-Level von ca. 9 (Median). Insgesamt verharren die Multiples in den letzten 12 bis 24 Monaten auf einem in etwa gleichbleibenden Niveau. Aktuell kommen die Bewertungen für Einzelhandelsunternehmen aufgrund der aktuell sehr unsicheren wirtschaftlichen Lage stark unter Druck.

 

Wie ist die momentane Dealaktivität im Handelsbereich?

Wie in vielen anderen Sektoren auch, ist die M&A-Aktivität zurzeit mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. Vereinzelt finden zwar noch Transaktionen statt, aber ein Großteil der Deals ist auf „on-hold“ gesetzt und sofern ausreichend Liquidität bei den Unternehmen vorhanden ist, werden laufende Transaktionen frühestens in ein bis zwei Monaten wieder aufgenommen, sobald auch das Ausmaß der Krise in den Büchern der betroffenen Unternehmen vollumfänglich erkennbar ist. Es ist davon auszugehen, dass in absehbarer Zeit eine größere Zahl von Unternehmen zwangsweise in den Markt kommen und verkauft werden müssen. Daher ist auch bedingt durch die Krisensituation mit einer erhöhten Dealaktivität ab Ende Sommer 2020 zu rechnen, die voraussichtlich aber erst im Jahr 2021 zum Abschluss kommen werden. Aber nicht alle Unternehmen werden einen Käufer finden und es ist daher auch mit einer größeren Zahl von Zwangsliquidierungen zu rechnen.

Bis zu Beginn der Krise ist die Zahl der M&A-Transaktionen in Deutschland seit 2017 kontinuierlich von 72 (2017) auf 91 (2018) und per Ende 2019 auf 107 Transaktionen gestiegen (erfasst sind hier nur Deals mit Zielunternehmen in Deutschland im Segment „Retail / E-commerce). Per Ende März 2020 wurden insgesamt 15 abgeschlossene Transaktionen erfasst (nach 26 Transaktionen im Vorjahreszeitraum). Dabei stieg sowohl die Zahl der Transaktionen im klassischen Retailgeschäft als auch im Bereich E-commerce im betrachteten Zeitraum.

2017: 42 (Retail) und 30 (E-commerce)

2018: 52 (Retail) und 39 (E-commerce)

2019: 62 (Retail) und 45 (E-Commerce)

2020 (Q1): 9 (Retail) und 6 (E-Commerce) vs. 2019 (Q1): 11 (Retail) und 15 (E-Commerce)

Quelle: mergermarket

 

Welches sind aus Ihrer Sicht im Moment die wesentlichen Dealtreiber in der Branche?

Dealtreiber sind grundsätzlich – losgelöst von der gegenwärtigen Situation – Umsatzwachstum, Marktanteilsgewinnung, die Vergrößerung der Kundenbasis, bzw. das Erreichen neuer Zielgruppen, die Erweiterung des Produktportfolios und die Internationalisierung des eigenen Geschäfts. Aber auch der Zugang zu den heiß begehrten Kundendaten treiben die Dealaktivität stark. Damit rücken vor allem DTC (direct-to-customer)-Brands, meist noch „microbrands“ in den Fokus von Investoren (hier insbesondere von „legacy brands“), die ihre Produkte über alle relevanten Social Media Kanäle, allen voran Instagram und Facebook direkt an den Endkunden vermarkten.

Investoren interessieren sich dabei vor allem für Firmen mit attraktiven Wachstumsperspektiven, einer hohen Profitabilität bzw. möglichst hohen Margen und idealerweise einer effizienten Logistik. Auch die Bekanntheit der Marke und die Möglichkeit, diese international zu ausbauen sind zentrale Aspekte.

Insgesamt ließ sich in der jüngeren Vergangenheit auch folgendes beobachten:

Nach einer langanhaltenden Phase in der unabhängige E-Commerce Player regelmäßig starkes Wachstum und attraktive Margen erreichen konnten, kommen diese in den letzten zwei bis drei Jahren zunehmend auf der einen Seite durch E-Commerce Giganten wie Amazon und auf der anderen Seite durch große etablierte Markenartikler unter Druck, die ausgestattet mit massiven finanziellen Mitteln ihre eigenen Online-Plattformen pushen und somit ihren eigenen Retailkunden Konkurrenz machen. Damit steigt auch der Druck für die unabhängigen Online-Retailer, sich mit anderen Anbietern zusammenzuschließen. Im Fokus dürften dabei Unternehmen stehen, die ein schnelles Umsatzwachstum bieten und damit verbunden einen zügigen Ausbau von Marktanteilen erlauben. Brancheninsider gehen davon aus, dass mittel- bis langfristig nur Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 100 – 150 Millionen Euro nachhaltig und ertragreich am Markt agieren können.

Klassische Retailer hingegen sind auch aktuell weiter bemüht, ihr Online-Geschäft und ihre Digitalkompetenz über gezielte Akquisitionen zu stärken, um diese mit ihren bestehenden Aktivitäten synergetisch zu verknüpfen. Insbesondere der Versuch großer etablierter Player, eigene, also in-house, Digitalkompetenzen v.a. im Bereich Marketing aufzubauen, sind oftmals gescheitert. Dies wiederum hat zwischenzeitlich zu einer ganzen Reihe an Transaktionen in diesem Segment geführt. Auch der Erwerb von Unternehmen aus den Bereichen Künstliche Intelligenz (AI) und sprachgesteuerte Dienste werden künftig vermehrt im Fokus der Dealaktivitäten stehen.

 

Welche Faktoren/Kriterien führen zu einem relativ hohen Kaufpreis, welche zu einem niedrigeren?

Attraktive Wachstumsaussichten, schnelle Marktanteilsgewinnmöglichkeiten, das Agieren in margenstarken Nischenmärkten und eine hohe Profitabilität bzw. die künftig zu erwartende Profitabilität treiben automatisch die Preise.

 

Was für Handelsunternehmen werden im Moment besonders gesucht, welche Unternehmen sind schwer zu verkaufen? Wenn Sie gerade ein Verkaufsmandat in der Branche hätten: Welche Käufergruppe würden Sie bevorzugt ansprechen (zum Beispiel Strategen oder Private Equity), und in welchen Regionen würden Sie Käufer suchen (Fokus auf Deutschland, europaweit, oder eine spezielle Region, z.B. Nordamerika oder Asien/Indien/China)?

Im Fokus der Investoren stehen derzeit vor allem (siehe auch teils in den Ausführungen oben) – unabhängig von der geographischen Präsenz:

  •  „Micro-brands“, also social commerce Unternehmen, die ihre Produkte über Instagram, Facebook etc. teils in absoluten Nischen schnell wachsend vermarkten und dazu in der Lage sind, eine große Kundenbasis mit hohen Repeat-Raten inklusiver aller relevanten Datasets aufzubauen.
  • AI-Anbieter, mit Lösungen für die Bereiche Filterfunktionen, Data Mining, Anti-Counterfeiting und Content Creation.
  • Im Bereich Online Food-Delivery Services ist mit einer weiter zunehmenden Konsolidierungswelle zu rechnen. Takeaway, Amazon und Hello Fresh dürften hier weiter aktiv werden und ihre Marktanteile ausbauen wollen. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie rücken Online Food-Retailer vermehrt in den Fokus von Investoren.
  • Generell dürften Online-Händler des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel und Drogerieartikel sowie Anbieter von Tier- oder Gartenbedarf, die es schaffen, einen nachhaltigen positiven Umsatzeffekt zu erzielen, in den Fokus der Investoren geraten.
  • Im Bereich Fashion verzeichnen die meisten Online-Anbieter derzeit trotz der aktuell noch andauernden Schließung der stationären Konkurrenz starke Umsatzrückgänge. Lagerabwertungen und Lieferkettenprobleme sorgen für zusätzliche Probleme. Damit sind diese Unternehmen aktuell von geringem Investoreninteresse.
  • Stationäre Einzelhändler mit margenarmen Produkten ohne echten USP und geringen Wachstumsmöglichkeiten sowie keinem oder nur limitierten Onlineauftritt dürften zurzeit sehr schwer vermarktbar sein. Hierzu zählen vor allem Retailer aus dem Bereich Fashion und Non-Food.
  • Bei einem laufenden Verkaufsprozess sollten in jedem Fall neben Finanzinvestoren, die sich auf das Segment fokussiert haben, große strategische Investoren europaweit oder gar global kontaktiert werden. Insbesondere asiatische und US-amerikanische Player suchen auch weiterhin den Zugang zum deutschen Markt, der insbesondere im Onlinehandel noch über ein enormes Potential verfügt.

 

Welchen Deal der jüngeren Vergangenheit aus dem Sektor würden Sie als herausragend bzw. für die M&A-Tätigkeit in diesem Sektor am relevantesten bezeichnen?

Die Konsolidierung im Markt für Food Delivery fand in der Fusion von Takeaway.com, Niederlande, und Just Eat, UK, einen weiteren spannenden Höhepunkt. Die 7,7 Mrd. EUR schwere Transaktion, die auf Basis eines EBITDA-Multiples von 42.5x vollzogen wurde, sollte einen neuen Konzern mit einer Market Cap von über 10 Mrd. EUR formen (aktuell liegt diese bei ca. 13 Mrd. EUR). Takeaway.com, Marktführer in Holland, Deutschland, Kanada und UK, hatte erst einige Monate zuvor für knapp 1 Mrd. EUR das Deutschland-Geschäft von Delivery-Hero übernommen, dass u.a. die Marken pizza.de, Lieferheld und Foodora umfasst. Die Holländer sind davon überzeugt, dass es in jedem Land jeweils nur einen profitabel operierenden Essens-Lieferdienst geben könne und drückt daher auf das M&A-Gaspedal. Das fusionierte Unternehmen ist künftig in 23 Ländern vertreten und wickelt nach eigenen Angaben mehr Essensbestellungen ab, als alle Konkurrenten außerhalb Chinas: 2018 waren es 360 Millionen Orders. Die Transaktion ist auch vor dem Hintergrund spannend, da im Mai 2019 Amazon den britischen Mitbewerber Roofoods Ltd., die unter der Marke Deliveroo online Essenslieferungen anbieten, für 515 Mio. EUR übernommen hat und den Food Delivery Markt ebenfalls weiter im strategischen Visier hat.

 

 

Autor: Marco Strogusch, Partner

IMAP M&A Consultants AG, Mannheim

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